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Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 232c

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Vom Punkt zur vierten Dimension. Geometrie für Jedermann.

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Zweiunddreißigstes Kapitel
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Das Wesen der analytischen Geometrie
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Wir betreten jetzt, nachdem wir eben die letzten Geheimnisse der Dreiecks-Meßkunst wenigstens ahnend zu erfassen begannen, ein grundlegend neues Gebiet der Geometrie, in dem gleichsam all das zusammenstrahlen und zur höchsten Vollendung getrieben werden wird, was wir bisher durchforschten. Wir meinen damit die analytische oder die Koordinatengeometrie, diesen höchsten Triumph des Menschengeistes, durch den es erst möglich geworden ist, auch das Krummlinige und Krummflächige in unserem Spinnennetz von Linien und Beziehungen einzufangen. Ja, noch mehr: Hier ist eine Verschwisterung zwischen Arithmetik und Geometrie geglückt, die fast keine Grenzen kennt und den ganzen Apparat subtilster Arithmetik in den Dienst der Erforschung von Formen zu stellen gestattet; während überdies noch ein anderer wichtigster Zweig der. Mathematik, die sogenannte höhere Mathematik, höhere Analysis oder Infinitesimalrechnung, unmittelbar aus dem unerschöpflich fruchtbaren Hauptstamm der Koordinatengeometrie herauswächst.
Wir haben also allen Grund, gerade bei diesem Gebiet länger zu verweilen und die ersten Quadern für späteren Höherbau möglichst sorgfältig zu wählen und mit haltbarstem Zement zu verkitten.
Die analytische Geometrie ist vor der projektiven und nichteuklidischen Geometrie die letzte große Epoche der Geometrie, wenn wir die Historie der Mathematik betrachten. Man verlegt zwar ihre Anfänge sehr weit zurück, etwa bis zu Archimedes und Apollonius von Pergä, doch sind die bei diesen beiden altgriechischen Geometern auffindbaren Ansätze einer Koordinatengeometrie wohl nur für einen durchgebildeten Fachmann mit all dem ähnlich, was wir unter analytischer Geometrie verstehen werden. Größer ist schon die Ähnlichkeit der Punktbestimmungen Nicole von Oresmes (14. nachchr. Jahrh.) mit unseren' Koordinaten. Wir wollen aber gleichwohl daran festhalten, daß eineigentliches Aufblitzen unseres Wissensgebietes erst bei Renée Descartes und Fermat erfolgte, die beide die analytische Geometrie nicht bloß begründeten, sondern selbst schon zu einer erstaunlichen Abrundung und Durchforschung brachten. Daher ist es auch durchaus berechtigt, die analytische Geometrie mit dem Namen des Descartes zu verbinden und eine gewisse Art von Koordinaten als „Cartesisches Koordinatensystem“ zu bezeichnen. Daß man damit Fermat ein Unrecht zufügt, gehört auf ein anderes Blatt der Geschichtskritik. Fermat ist aber ansonsten durchaus kein verkanntes Genie gewesen, und das sogenannte Fermat-Problem, das wir hier nicht erläutern können, füllt auch heute noch ansehnliche gelehrte Bücher.
Nun sprechen wir aber schon geraume Zeit über Dinge, die wir noch nicht verstehen können. Wir werden also jedem noch so berechtigten Überschwang wieder, die Zügel anlegen und nach unserer schon bisher peinlich befolgten Methode von unten aufzubauen beginnen. Man könnte hier mit Recht fragen, warum wir unsere „epochale“ analytische Geometrie nicht schon früher gebracht haben. Vielleicht wäre es einfacher und gewinnvoller gewesen, sogleich „Koordinaten“ einzuführen, anstatt sich mit projektiven Sätzen und Dreieckseigenschaften herumzuplagen. Nun, dieser Einwand ist leicht zu widerlegen. Und zwar schon aus dem, nebenbei vollständig richtig gewählten Namen unserer Geometrie. Während nämlich die bisher behandelte „synthetische“, aufbauende oder zusammensetzende Geometrie von den Axiomen ausgeht, um Schritt für Schritt die Figuren zu konstituieren und ihnen dabei ihre Eigenschaften abzulauschen, geht die „analytische“ oder „auflösende“ oder „zergliedernde“ Geometrie den umgekehrten Weg. Sie nimmt die Figuren und Lehrsätze durchaus als gegeben an und findet auf diesem rückschreitenden Wege Eigenschaften und Zusammenhänge, ja sie beweist gleichsam die Axiome, wenn man nicht lieber sagen will, daß sie Axiome verifiziert. Daher muß man auch wohl die synthetische Geometrie wenigstens oberflächlich kennen, um analytisch arbeiten zu dürfen. Sonst wüßte man ja nicht, wie und was man analysieren soll. Nun sei an dieser Stelle eine ungemein interessante Bemerkung Poincarés über den geometrischen Fortschritt erwähnt. Es ist, so meint er ungefähr, nicht alles in der Mathematik so systematisch wie man denkt. Nirgends steht es geschrieben, welche* Eigenschaften einer Figur man zuerst erforschen soll und in welcher Reihenfolge man weiter untersuchen muß. Historisch-psychologisch hat sich die Mathematik und speziell die Geometrie aus einer Unzahl abrupter Erleuchtungen, manchmal wohl auch durch den Zwang praktischer Probleme zusammengesetzt, bis endlich ordnende Geister eine nachträgliche Systematik und eine Schein-Reihenfolge ausbildeten. Dann allerdings, wenn das System einmal da ist, wird es selbst zur Denkmaschine, da sich ja jetzt alle Lücken und fehlenden Übergänge zu offenbaren beginnen, die man vergleichsweise mühelos ausfüllen kann. Wenn man etwa an den „Pascal“ (1640), den „Brianchon“ (1806) und das Dualitätsprinzip (1822) zurückdenkt, weiß man sofort, was wir sagen wollen. Es ist aber nach meiner Ansicht eher tröstlich als schmerzend, daß Geister vom Rang eines Henri Poincaré der Intuition und gleichsam dem künstlerischen Empfinden selbst in der strengsten Mathematik einen so wichtigen Platz einräumen. Dadurch wird der Ausspruch des Sophokles, daß daß Gewaltigste der Mensch sei, wieder berechtigt und durch gehobene Verantwortlichkeit - nicht durch gehobene Eitelkeit! - muß der Mensch als „Herr der Natur und des Geistes“ all das zu schaffen suchen, was wirklich den Namen des Fortschritts verdient, jenes Weiterstreben faustischer Art, das niemals nach dem Lohn, sondern stets nur nach der Tat, nach dem Ideal der Vollendung fragt.
Wir wollten mit diesem Exkurs nur andeuten, daß sowohl Synthesis als Analysis auch in der Geometrie zwei später geschaffene Formgebungen sind, unter deren Sammellinse man die an sich äquivalenten geometrischen Tatsachen im Brennpunkt höchster Sicherheit und Verständlichkeit vereinigen kann. Und es ist durchaus kein wissenschaftliches Delikt, sondern gerade das Gegenteil, wenn man sich im gegebenen Fall der Mittel bedient, die einem beide Methoden an die Hand geben. Natürlich muß man sich bewußt bleiben, was man tut, besonders, was man voraussetzt und voraussetzen darf. Sonst ergäbe eine Vermengung von Analysis und Synthesis ein sehr lockendes und vereinfachendes Reich obskurer Kreis-Schlüsse. Und jedem Irrtum wäre Türe und Tor geöffnet.
Wir haben die analytische Geometrie auch Koordinatengeometrie genannt. Nun sind diese Koordinaten buchstäblich das Gerüst der analytischen Geometrie, gleichsam die Mittler zwischen Zahl, Größe und Bewegung. Vom modernsten Standpunkt aus sollte der Begriff Bewegung hier vermieden werden. Wir können uns aber in einem Einführungsbuch nicht dazu entschließen, der logischen Strenge zuliebe das plastischeste und anschaulichste Element des Koordinatenbegriffes zu opfern, insbesondere, da sich gerade dieser Zweig der Geometrie historisch stets an die Bewegung und ihre Gesetze angelehnt und aus ihr den Stoff gewonnen hat. Das Wort „Koordinaten“ kommt weder bei Descartes noch bei Fermat vor. Es ist eine der zahllosen glücklichen Wortbildungen des vielleicht größten Geistes der Wissenschaftsgeschichte. Es stammt nämlich von Leibniz, der es in der Zeitschrift „Acta Eruditorum“ (1692) zum erstenmal gebraucht hat. Was also sind diese „Zugeordneten“ oder „zugeordneten Geraden“? Wir werden es gleich erfahren.
Es wurde bereits von uns durch die Überlegungen, die wir auf Grund der Axiome anstellten, überzeugend dargelegt, daß eine Zuordnungsmöglichkeit zwischen Zahl und Größe bestehe. Daß es also erlaubt sei, jederzeit statt Zahlen Strecken und statt Strecken Zahlen zu verwenden. Diese begründete Freiheit werden wir uns sofort zunutze machen, um unseren „analytischen Raum“ aufzubauen. Eigentlich zwei solcher Räume, die einander, wie man sagt, ein-eindeutig entsprechen oder einander ein-eindeutig, das heißt eindeutig und umkehrbar „zugeordnet“ werden können. Beginnen wir mit dem R1 in der Form einer Geraden. Wenn wir auf solch einer Geraden irgendwo die Null oder den Ausgangspunkt Groß-O setzen („O“rigo = Ursprung), dann werden wir jeder reellen Zahl auf dieser Geraden eine Stelle eineindeutig anweisen können. Und zwar den positiven Zahlen - wie wir willkürlich festsetzen - auf der rechten und den negativen Zahlen auf der linken Seite des Ursprungspunktes. Wir fügen hier gleich hinzu, daß die eineindeutige Zuordnung zum Aufbau des analytischen Raumes nicht genügt. Es muß noch etwas Zweites hinzukommen, um eine vollkommene Entsprechung zwischen unserem R1 und den unendlich vielen reellen Zahlen herzustellen. Der R1 ist eine Gerade und die Gerade hat keine Unterbrechungsstellen. Sie ist, wie man sagt, ein Kontinuum (continuere = zusammenhängen) oder ein „stetiges" Gebilde. Über die mathematisch-philosophische Begründung des Stetigkeitsbegriffes ist nun schon seit Leibniz und dessen „Kontinuitätsprinzip“ gewaltig viel diskutiert worden. Wir verkennen auch durchaus nicht, daß wir mit diesem Begriff an eines der tiefsten Welträtsel rühren, da man sich die Stetigkeit eigentlich ebensowenig vorstellen kann wie das Diskontinuum, die Unstetigkeit oder das Zerteilte, Diskrete. Es liegt hier eben eine sogenannte Antinomie oder Gegengesetzlichkeit vor, die nach Kant nicht in der Natur, sondern im Menschengeist ihren Grund hat. Neuere Mathematiker haben mit Recht betont, daß man allen Schwierigkeiten ausweichen könnte, wenn man nicht stets die Geometrie vom Punkt aus aufbauen wollte. Denn jede Linie ist ein „wirkliches“ und „sichtbares“ Kontinuum. Nur tritt unsere Schwierigkeit aber auch hier sofort auf, wenn man von der Linie zur Fläche übergeht. Nimmt 'man aber die ebenfalls „wirklich“ stetige Fläche zum Element, so erscheint die Schwierigkeit beim Übergang zum Raum. Wenn ich aber schließlich vom R3 ausginge, müßte ich ihn in Ebenen, diese in Gerade und die Geraden in Punkte teilen, um überhaupt Geometrie treiben zu können. Dabei steht das Problem wieder da, und der ganze Unterschied besteht nur darin, daß wir jetzt nicht addierend, sondern subtrahierend vorgehen. Oder dividierend statt multiplizierend.
Wir stellten also fest, daß der Verstand in der Zahl und Anzahl ein teilendes Prinzip geschaffen hat, während die Wirklichkeit des Schauens das Stetige kennt und fordert. Wollen wir nun diese beiden fremden Welten einander eineindeutig und adäquat zuordnen, dann müssen wir uns wohl der Wahrheit des Auges beugen und versuchen, das an sich Diskrete der Zahlen so dicht zu lagern, daß kein Zwischenraum zwischen den Zahlen mehr möglich ist. Die rationalen Zahlen leisten diese Dichtheit trotz ihrer unendlichen Anzahl nicht. Denn wir wissen aus der Arithmetik, daß zwischen den nächstbenachbarten rationalen Zahlen stets noch eine Unendlichkeit irrationaler Zahlen liegt. Die Stetigkeit verlangt also, falls wir die Zuordnung von Zahlen zu Größen aufrechterhalten, eine mehrfache Unendlichkeit von Zahlen selbst schon im R1 oder auf der Linie, denen mehrfach unendlich viele Punkte der Linie entsprechen. Im sogenannten „Dedekind'schen Schnitt“ und im Bolzano'schen Satz, die wir schon einmal erwähnten, ist der Versuch gemacht, diese Verhältnisse logisch genugtuend aufzuklären. Wir müssen es uns aber leider versagen, näher darauf einzugehen und verweisen auf Gerhard Kowalewski „Einführung in die Infinitesimalrechnung“ (Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt“, Bd. 197).
Nun hätten wir schon ein linienhaftes „Koordinatensystem“. Jeder möglichen reellen Zahl ist stets ein Punkt der Geraden eineindeutig und stetig zugeordnet. Letzteres deshalb, weil neben diesem Punkt gleichsam ohne Zwischenraum völlig dicht der nächste Punkt oder die nächste Zahl anliegt, die natürlich ebensogut eine rationale als eine irrationale sein kann. Unmöglich ist es im stetigen „Linien-Raum“ bloß, daß ein Punkt auf beiden Seiten von Punkten eingefaßt wird, die rationalen Zahlen entsprechen. Denn zwischen einem auf einer Seite an einen rationalen Punkt anstoßenden irrationalen Punkt und dem nächsten rationalen Punkt müssen stets zur Wahrung der Kontinuität unendlich viele irrationale Punkte liegen. Wir gebrauchten jetzt absichtlich die Worte Punkt und Zahl als gleichbedeutend. Diese Ausdrucksweise ist in den höheren Gebieten der Mathematik, insbesondere in der Funktionentheorie üblich, wo man ruhig von einem Dreieck aus drei Zahlen oder sogar aus „Indizes“ spricht. Indizes sind ja auch nichts anderes als in ihrer Lage nach einem bestimmten Gesichtspunkt festgesetzte Zahlen. Wir haben also gleichsam zwei koordinierte, einander entsprechende oder einander zugeordnete „Räume“. Erstens unseren geometrischen Raum 1 und zweitens den diesem Raum abbildhaft, eineindeutig und stetig entsprechenden rein abstrakten „Zahlenraum“ aller reellen Zahlen, der nichts anderes ist als die geordnete unendliche Menge aller dieser Zahlen. Philosophisch gesprochen, haben wir die „Verschwisterung“ dadurch erreicht, daß wir in das Anschauungskontinuum den Verstandesbegriff der Teilung und in den Verstandesbegriff der Teilung oder Anzahl die stetige Vorstellung des Raumes, die Raumanschauung hineintrugen. Verständlichter Raum ist jetzt Größe und verräumlichte Teilung ist jetzt Zahl. Und beides ist einander zugeordnet, verschwistert, untrennbar miteinander verschmolzen. Dies aber leistet die „Koordinatenachse“, unsere Gerade, auf der sich Verstand mit Anschauung paart.


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