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Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 253c

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Leibniz. Der Lebensroman eines weltumspannenden Geistes.

7. Alchimisten- Träume

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Im nordwestlichen Teil Nürnbergs lag nahe der Stadtmauer ein kleiner, verlassener Platz, zwischen dessen Pflasterung vorwitzig das Gras wuchs. Fast angelehnt an die Stadtmauer gab es da einige uralte Häuschen in Riegelbau mit Erkern und allerlei Zieraten in kunstvoller Schmiedearbeit.
Es war Frühling. Leibniz war nicht Professor der Universität Altdorf geworden. Er hatte gebeten, ihm nicht zu zürnen, wenn er die ehrende Berufung nicht annähme. Man hatte ihm durch; aus nicht gezürnt. Im Gegenteil. Man hatte es zwar von Herzen bedauert, sah es aber ein, daß der junge Mann einmal ein paar Monate leben wollte. Leben ohne Bücher und Examina, wie der Kanzler schmunzelnd bemerkt hatte.
Nun ging Leibniz über den schon erwähnten kleinen Platz. Er war in der Haltung viel straffer und freier, sein Antlitz war von der Sonne gebräunt und ein freudig erwartungsvoller, fast schalkhafter Zug spielte um seine Lippen.
Er hatte dem gütigen Kanzler damals nicht widersprochen. Nur war Leibniz kaum das vorgeschwebt, was der Kanzler unter „leben“ verstanden hatte. Aber wie dem auch sei, hatte in höherem Sinne der Kanzler doch recht gehabt. Leibniz war nach der Erreichung des Doktorgrades mit Urgewalt so jung geworden, wie er es in Wirklichkeit war, und hatte begonnen, den großen und größten Geheimnissen, die außerhalb aller Bücher lagen, nachzuspüren.
Er ging jetzt geraden Weges auf eines der Häuschen zu, betätigte den eisernen Pocher und durchschritt, als ihm ein kleines Mädchen geöffnet hatte, den durch allerlei alten Hausrat verengten Flur und betrat den Hof, an dessen linker Seite die Werkstatt des Goldschmiedes lag.
Er trat ein. Der muntere Mann mit der Lederschürze begrüßte ihn und lachte:
„Ungeduldig, gestrenger Herr Doktor! Sehr ungeduldig! Aber ich habe den Termin eingehalten. Vor einer Viertelstunde sind Eure zwei Nägel fertig geworden. Wenn ich in aller Welt nur wüßte, wozu ein junger Herr so kuriose Nägel brauchte. Verzeiht mir, ich bin ein neugieriger Mensch ...“
„Leider ist es ein großes, ein sehr großes Geheimnis“, unterbrach ihn Leibniz und lächelte dabei in einer Art, die die Auskunft wieder zum Scherz umbog. Dann sagte er ernster: „Ich muß, Ihr seid mir nicht böse, genau das Maß prüfen.“
„Das könnt Ihr getrost“, meinte der Goldschmied und reichte dem Besucher auf einer kleinen Holzplatte die zwei Nägel. Der eine war aus Gold, der andere war aus Silber. Beide zeigten die gleichen Maße, waren etwa kleinfingerlang und ähnelten in der Form den geschmiedeten Eisennägeln.
Leibniz zog ein Wachsstück aus der Tasche.
„Ich habe vorsichtshalber den Abdruck noch einmal genommen“, erläuterte er. Und er legte beide Nägel behutsam in den Abdruck und überzeugte sich von der Genauigkeit der Flächen und Kanten.
Es war nichts auszusetzen. Er bezahlte den namhaften Betrag, den die beiden Stücke kosteten, und verabschiedete sich mit anerkennenden Worten vom Goldschmied. Im Gehen sagte er noch scherzend:
„Ich baue auf die mir zugesicherte Geheimhaltung. Es handelt sich um eine Überraschung. Also Stillschweigen gegen jedermann!“
„Ihr könnt darauf bauen. Meine Zunft ist Geheimnisse aller Art gewohnt. Sie sollen Euch Glück bringen, Eure mystischen Nägel!“ -
Als Leibniz wieder auf der Straße war, ergriff ihn plötzlich eine große Hast. Er fürchtete die Vereitelung seines Planes. Es war ihm allerdings unklar, welches Hindernis sich ihm entgegen stellen konnte. Den Schlüssel des Laboratoriums trug er in der Tasche und der Italiener war schon gestern abgereist.
Es war eine merkwürdige Kette von Ereignissen, die von der Promotion bis zum Italiener führte. Es wurde schon gesagt, daß der Jüngling nach unverhofft schneller Erreichung seiner Ziele unvermittelt in andre Bahnen gelenkt worden war. Besser, daß sich die Natur geltend gemacht hatte. So war er wochenlang ohne bestimmtes Ziel in Nürnberg umhergewandert, hatte sich treiben lassen und die Augen weit geöffnet, um zu schauen und wieder zu schauen. Zuerst die Bastionen, Häuser und Dome. Dann die Bildwerke und Statuen, die Wandgemälde Dürers und Lukas Cranachs. Und endlich das „Leben“ überhaupt. Von einem Handwerker zum anderen war er gegangen, hatte bei der Arbeit zugesehen, hatte die reisenden Kaufleute in den Schenken befragt, hatte Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen, war in der Umgebung umhergefahren, bis er schließlich von den kleineren Geheimnissen in den Bannkreis höherer Geheimnisse geriet. Er hatte erfahren, daß eine streng abgeschlossene Gesellschaft der Rosenkreuzer in Nürnberg ihren Sitz habe, die sich vornehmlich mit Alchimie befaßte. Ein weiterer Zufall hatte ihn darüber aufgeklärt, daß entfernte Verwandte seines Vaters dieser Brüderschaft angehörten. Und so war er wieder zu den Büchern zurückgeführt worden, allerdings nur für kurze Zeit. Er hatte, was er nur aufstöbern konnte, an rosenkreuzerischen und alchimistischen Büchern durchgesehen und sich davon Auszüge gemacht. Da er zudem seine Verwandten ab und zu beim Wein ausgeholt hatte und, wenn auch nur andeutungsweise, in einige Geheimnisse eingeweiht worden war, hatte er, selbst in übermütiger Weinlaune, einmal beschlossen, die Alchimisten, denen er sehr wenig traute, zu prüfen. Und hatte aus seinen Büchern ein bombastisches Schriftstück zusammengestellt, das aus allen Stellen bestand, die ihm selbst unverständlich geblieben waren. Zu seiner ungeheuren Verblüffung und Bestürzung wurde er von den Rosenkreuzern auf Grund dieses fast bösartigen Scherzes für einen Adepten gehalten und aufgenommen. Ja, er wurde sogar zum Sekretär der Brüderschaft bestellt und erhielt die Aufgabe zugewiesen, die Experimente im Laboratorium durchzuführen und Auszüge aus den wichtigsten chymischen Büchern anzufertigen. Und dies noch dazu für höchst anständige Entlohnung. Er hatte einen Augenblick alles eingestehen wollen. Dann aber hatte er eingesehen, daß er durch ein solches Geständnis seinen wissenschaftlichen Ruf für Lebenszeit hätte untergraben können. So hatte er sich vor seinem Gewissen andre Entlastung verschafft. Er hatte vorgeschlagen, noch eine mündliche Prüfung abzulegen, da er einzusehen begann, daß man ihm sein chymisches Kauderwelsch ja nur deshalb geglaubt hatte, weil man seine anderweitige wissenschaftliche Hochrangigkeit von Altdorf kannte. Nun wollten die Rosenkreuzer von einer solchen Prüfung nichts wissen und man hatte sich schließlich auf einen Probemonat geeinigt. Wie bei allem, was er bisher angefaßt hatte, war schon in diesem Monat derart viel von Arbeit und Leistung, Erfindung und Nutzen zu sehen, daß die Rosenkreuzer jetzt gelächelt hätten, wenn er mit seinem Geständnis gekommen wäre. Sie waren sogar von seiner Fähigkeit zum Adepten überzeugter als am Beginn und hatten ihm in kurzer Zeit sein Gehalt aus freien Stücken erhöht. Er hatte von den Brüdern manches gelernt. Besonders hatte er sein Augenmerk darauf gerichtet, Wahrheit von Phantasterei und Erfolg von alchimistischem Schwindel und Betrug zu unterscheiden.
Nun war vor wenigen Tagen ein italienischer Adept bei den Rosenkreuzern erschienen und hatte eine Probe der großen Kunst abgelegt, die selbst die gläubigsten Alchimisten verblüffte. Vor aller Augen, bei hellstem Tageslicht, hatte er einen silbernen Nagel in ein Gläschen mit Flüssigkeit getaucht, in das er zwei Körner des „roten Pulvers“ gestreut hatte. Und nach wenigen Minuten schon hatte er den Nagel, zu purem Gold verwandelt, herausgezogen.
Leibniz nun war es gelungen, als er bei dem Experiment Handlangerdienste leistete, einen Teil der Flüssigkeit, die er hätte fortgießen sollen, aufzuheben. Den zu Gold verwandelten Nagel aber hatte der italienische Adept um schweres Geld den Rosenkreuzern verkauft, ebenso einen unverwandelten silbernen Nagel.
Obgleich nun die Stellung, die Leibniz zur Alchimie einnahm, noch durchaus nicht geklärt oder eindeutig war, glaubte er zumindest an die Möglichkeit einer Irreführung. War es keine Irreführung, dann mußte man der Sache selbst auf andren Wegen an den Leib rücken.
Jedenfalls fieberte er vor Erregung, als er den Schlüssel in die Tür des Laboratoriums steckte.
Zuerst überzeugte er sich, daß sowohl die Flüssigkeit als die Nägel des Italieners vorhanden waren. Dann legte er seine Nägel, nachdem er sie mit einem Messer geritzt und bezeichnet hatte, abseits. Endlich versperrte er die Tür und machte sich an die Probe.
Dabei ergriffen ihn sonderbare Gedanken. Was nun, wenn alle Regeln und Erzählungen der Alchimisten auf Wahrheit beruhten? Was stand ihm da bevor? Ihm, dem Pfuscher, dem Unberufenen? Würde er nicht von Dämonen zerfleischt, von Feuern versengt, von Blitzen zerschmettert werden? Und vor seinem inneren Auge erschienen drohende mystische Gestalten, ägyptische Götter mit Tierköpfen und unverständlichen Symbolen, brodelnde Abgründe tiefster Urwelten.
Aber es gab auch noch andres, etwas rein Diesseitiges, das bei jedem unbekannten Versuch eintreten konnte. Warum gerade sollte nur ein Fünkchen eine Tonne Pulver zu zerschmetternder Wirkung entfesseln? Was wußte man von Dingen und Kräften? Wie wenig wußte man? Was war Funke, was Pulver? Konnte man nicht einmal eine Handlung setzen, die gleichsam als Funke auf Stein und Erde wirkte, konnte man nicht Kräfte entfesseln, die ganze Städte, ganze Reiche, ja den Erdball selbst in strahlenden Blitzen auflösten?
Glücklich die guten Alchimisten, die bescheidenen, beschränkten, die an ihre paar Regeln glaubten und sich bei Befolgung dieser Regeln sicher wähnten.
Doch plötzlich überkam Leibniz beim Anblick der harmlosen Nägel ein Gefühl der Beruhigung. Er sagte sich zwar, dieses Gefühl sei ebenso unlogisch, als wenn er ein Stück weißen Giftes wegen seiner harmlosen Gestalt für Salz ansehen und essen würde. Aber er wollte das Experiment machen und seine Wißbegier schaltete mit der Logik, wie es ihr eben beliebte.
Er nahm auch ohne Zögern den goldenen Nagel des Italieners und seinen vom Goldschmied erworbenen Goldnagel und machte den ersten Versuch. Er wog die beiden Nägel. Zu seinem Erstaunen war der Nagel des Italieners wesentlich leichter. Er versuchte es mit den silbernen Nägeln. Noch erstaunlicher: Der Nagel des Italieners war weit schwerer als sein Silbernagel. Der dritte Versuch verwirrte ihn vollends. Die beiden Nägel des Italieners wogen fast das Gleiche, seine Nägel dagegen waren, wie man es hätte voraussetzen müssen, recht ungleich an Gewicht. Die Wagschale mit seinem eigenen Goldnagel sank tief hinunter, während der Goldnagel des Italieners sogar um eine Spur leichter erschienen war als dessen Silbernagel.
Er sann eine Weile über diese erste Entdeckung. Es war klar. Die beiden Nägel des Italieners bestanden aus fast gleicher Materie. Und zwar aus einem Stoff, der im Gewicht zwischen Gold und Silber lag. Jedenfalls war er jetzt auf einer Fährte. Er mußte sich tiefere Gewißheit verschaffen. -
Wieder erschauerte er einen Augenblick, als er seinen Silbernagel mit einer Holzzange anfaßte und ihn dann rasch in die Flüssigkeit tauchte. Aber es geschah nichts. Es zeigten sich keine Dämonen, es flammte kein Feuer auf, und das Universum schien unberührt. Er wartete viele Minuten, viel länger als der italienische Adept es getan hatte. Dann zog er seinen Silbernagel heraus und wischte ihn ab. Nichts. Keine Veränderung. Der Nagel glänzte silbern wie vorher.
Jetzt gab es nur mehr zwei Möglichkeiten. Entweder war die Tinktur in seiner uneingeweihten Hand wirkungslos. Oder aber der „Silbernagel“ des Italieners hatte andre Eigenschaften als ein wirklicher Silbernagel, ein Verdacht, den sein großes Gewicht verstärkte.
Nun gab es aber eine neue innere Schwierigkeit. Durfte er den Nagel des Italieners, den die Rosenkreuzer gekauft hatten, zu einem Versuch verwenden? Ihn vielleicht verderben? Sollte er um Erlaubnis fragen? Sein Gewissen hielt ihn dazu an, seine Wißbegierde aber war mächtiger. Er konnte ja den Geldbetrag ersetzen, wenn er den Nagel verdarb. Und dann noch etwas. Er war geradezu verpflichtet, das Experiment zu machen, den Betrug aufzuklären. Er würde alles haargenau den Brüdern melden, um sie in Zukunft vor solcher Tücke zu schützen.
Nach langer Überlegung entschloß er sich endlich zu einem Mittelweg. Er würde nur die Spitze des Nagels in die Tinktur eintauchen. Dadurch war vielleicht alles geklärt und gleichwohl die Möglichkeit weiterer Versuche offen.
Als er endlich das Experimentum Crucis, das entscheidende ausschlaggebende Experiment vornahm, pochte ihm das Herz bis hinauf zu den Schläfen. Fast wäre der Nagel in die Tinktur gefallen. Er wandte sich ab, als er die Spitze des Nagels untergetaucht hatte. Dann noch ein letzter Augenblick höchster Spannung. Er riß den Nagel aus der Tinktur, eilte zum Fenster: Die Spitze, soweit er sie eingetaucht hatte, war in pures Gold verwandelt.
Jetzt aber begann erst das Rätsel. Woraus bestanden also die beiden Nägel des Italieners? Weder aus Gold, noch aus Silber? Oder gar aus beidem? Was für eine Rolle spielte die Tinktur?
Nach stundenlangen Versuchen machte Leibniz eine zweite erstaunliche Entdeckung. Gewöhnliche scharfe Säuren verliehen dem „Silbernagel“ des Italieners auch die Goldfarbe. Er konnte weiter nichts enträtseln, es war aber erwiesen, daß das „rote Pulver“ des Italieners nichts mit dem echten magischen roten Pulver zu tun hatte, sondern purer Betrug war.
Als er am späten Nachmittag dem Vorsteher der Gesellschaft genaue Meldung erstattete, billigte man seinen Eifer, legte ihm aber strengstes Stillschweigen auf, das er auch gelobte. Er bedang sich nur aus, in ähnlicher Lage zur Entlarvung von Scharlatanen der hohen Kunst die gleichen Proben und Versuche auch öffentlich vornehmen zu dürfen. Natürlich, ohne die Geschichte seiner ersten Entdeckung und ihre Herkunft preiszugeben. Da dieses Zugeständnis im Sine der ernsten Alchimie lag, wurde es ihm bereitwillig gemacht.


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