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Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 263c

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Leibniz. Der Lebensroman eines weltumspannenden Geistes.


17. Im theologischen Sattel

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Ob es voller Ernst oder Ironie gewesen war, konnte Leibniz nicht genau unterscheiden. Jedenfalls war Arnaud noch geblieben, als sich alle anderen schon verabschiedet hatten und hatte sehr geheimnisvoll getan. Leibniz möge ihm die Ehre des Besuches schenken, am liebsten sogleich mit ihm kommen. Fünf oder sechs Angehörige seiner Partei - also extreme Jansenisten - seien heute bei ihm geladen und er verspreche sich viel von einer theologischen Auseinandersetzung. Man wolle gern einmal mit einem Protestanten diskutieren. Aber auch Leibniz würde mancherlei lernen und manchen Einblick erhalten. Denn man werde sich offen geben, da man sowohl seiner Ehrenhaftigkeit als seiner Klugheit vertraue.
Wie gesagt, klang manches dieser Worte nach Geheimnis, fast nach Verschwörung. Gleichwohl deutete wieder nichts daraufhin, daß man den Jansenisten hier in Paris Schwierigkeiten bereitete. Arnauds Neffe war Außenminister und Leibniz hatte sich eben überzeugen können, daß sowohl Colbert als sogar der skeptische Marquis von Varonne Arnaud mit mehr als gewöhnlicher Hochachtung begegne ten. Aber trotzdem war irgend etwas am Verhältnis dieser Sekte zur Krone und zum herrschenden Katholizismus unklar und verworren, und es schienen höchst komplizierte und höchst politische Zusammenhänge zu bestehen. Für Leibniz ein Anlaß und ein Grund mehr, sein Wissen um die Welt und seinen Durchblick zu erweitern.
Er hatte also Arnaud sogleich zugesagt und war mit ihm durch den schönen Herbstnachmittag bis zum Vorort St. Martin hinausgeschlendert, wo Arnauds Häuschen inmitten eines kleinen Gartens lag.
Man hatte auch nicht allzulang warten müssen, bis die Parteigenossen Arnauds, darunter die sehr angesehenen Herren Nicole und St. Amand erschienen waren.
Leibniz war von allen äußerst freundlich begrüßt worden und war in der ersten Stunde fast das ausschließliche Objekt des Gesprächs gewesen. Arnaud hatte es sich nämlich nicht versagen können, die Ereignisse des Ministerbesuchs bei Leibniz bis zur dramatischen Enthüllung der Rechenmaschine genau zu schildern. Dabei wurde die Niederlage des Marquis, der in diesem Kreise nicht allzu beliebt schien, weidlich belächelt. Colbert dagegen wurde allgemein gelobt.
Und es entwickelte sich schließlich zwangsläufig ein allgemeines Gespräch über das Merkantilsystem, über nationale Abgeschlossenheit und über die Folgen solcher Abgeschlossenheit für die Religion.
Leibniz beteiligte sich mit sprühender Lebendigkeit an den Erörterungen. Er befand sich überhaupt in einem Zustand, der von der Unstetheit eines Rausches nicht allzuweit entfernt war und ebenso wie ein Rausch auch das sichere Gefühl der eigenen Überlegenheit und Unfehlbarkeit so sehr steigerte, daß ihm ein ernsterer Widerspruch fast undenkbar schien. Durch diese Stimmung verlor er viel von seiner sonstigen Reserve und vorausrechnenden Bedächtigkeit. Er wurde sogar ein wenig selbstgefällig und hörte sich gern reden. Worin er noch dadurch bestärkt wurde, daß er vorläufig eigentlich keinem Widerspruch begegnete.
Nun riß ihn das Gespräch über die nationale Abgeschlossenheit in ihrer Beziehung auf die Religion und auf allgemein menschliche Angelegenheiten mächtig fort, so daß er in den Bannkreis eines seiner Lieblingsgedanken gelangte. Nämlich zur Untersuchung der Möglichkeit, scheinbar Gegensätzlichstes in einer höheren Einheit zu verschmelzen. Und er erklärte plötzlich, er habe ein Gebet erdacht, das trotz seiner Kürze alles Wesentliche enthalte und gleichwohl von allen Gläubigen, sofern sie nur an den einzigen Gott glaubten, gebetet werden könnte. Also von Katholiken, Protestanten, Juden und Mohammedanern. Ein solches Gebet aber wäre schon ein ungeheurer Gewinn, es würde eine Gefühlsgemeinschaft aller Monotheisten entstehen, die sich dann weiter und weiter erstrecken und zahlloses und furchtbares Unheil bannen könnte. Ein solches Gebet hätte vielleicht die Kreuzzüge, den Dreißigjährigen Krieg und die Türkenstürme verhindert, wenn es zur rechten Zeit erdacht worden wäre.
Leibniz war sehr erstaunt, welchen Eindruck seine Ankündigung auf die Sektierer machte. Auf die Männer, die es nicht anders kannten, als wegen einer vergleichsweise winzigen Einzelheit Leben, Vaterland und Ehre aufs Spiel zu setzen. Er sah sich von einer Minute zur anderen von einer dunklen Wolke von Mißtrauen und beinahe von Haß umgeben.
„Es steckt etwas von schwarzer Magie in Ihnen“, sagte Arnaud unheildrohend. „Sie arbeiten jetzt im Wesen nach demselben System wie bei Ihren Erfindungen. Zuerst reizen und verblüffen Sie mit Unmöglichem, um dann am Schluß irgendeine unleugbare Realität hinzusetzen. Und dadurch vielleicht auch die Vorhergegangenen Phantasien zu rehabilitieren. Wo hinaus zielen Sie jetzt, Leibniz? Ich will nicht die Rolle des Marquis von Varonne spielen und Ihnen sagen, daß Sie flunkern. Ich will auch nicht das Nächstliegende einwenden, daß Sie nämlich durch Ihre Behauptung alle Religionen zugleich lästern oder sich auf einen höchst indifferenten, oberflächlichen Standpunkt stellen, der Religion durch irgendeine verwaschene, blutleere, ungeoffenbarte Formel ersetzen will. Jedenfalls möchte ich Ihr Universalgebet einmal hören.“
Leibniz bereute jetzt ein wenig, daß er sich durch seine Siegesstimmung hatte soweit mitreißen lassen. Nicht weil er an der Verteidigung seiner Ansichten verzweifelte. Sondernweil er doch anscheinend das Gefühl dieser begeisterten Männer verletzt hatte, die ihn ihrer Freundschaft und ihres Vertrauens würdigten. Er konnte aber nicht mehr zurück. Sonst hielten sie ihn nicht bloß für einen Ketzer, sondern überhaupt für einen üblen Freigeist und theologischen Taschenspieler. Was ihm ja Arnaud ziemlich unverblümt schon gesagt hatte.
So begann er zögernd:
„Mein Gebet, soweit ich es im Gedächtnis habe, lautet: O einziger, allmächtiger und allgegenwärtiger Gott, Du einzig wahrhaft und unbeschränkt herrschender Gott, ich, Dein armes Geschöpf, glaube an Dich, ich hoffe auf Dich, ich liebe Dich über alles, ich bete Dich an, ich lobe Dich, ich danke Dir und ich gebe mich auf an Dich. Vergib mir meine Sünden und gib mir sowie allen Menschen das, was nach Deinem heiligen Willen nützlich ist für unser zeitliches wie für unser ewiges Wohl. Und bewahre uns vor allem Übel. Amen!“
Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen, als Leibniz geendet hatte. Man überdachte das Gehörte und suchte nach Angriffspunkten, Einwänden oder Widerlegungen. Auf dem Tisch, um den man saß, schwelten die Lichter; und die Reste des Imbisses, das Obst, die Weinkaraffen bildeten ein buntes Durcheinander.
Plötzlich sprang Arnaud auf. Mit der Linken machte er eine weitausholende Geste der Verneinung, während er den weißhaarigen Kopf schüttelte:
„Das taugt nichts, Herr Leibniz! Das taugt ganz und gar nichts! Das ist eine Spottgeburt. Ein Machwerk. Sie haben uns schwer enttäuscht, Herr Leibniz.“ Und er sah anklagend von einem zum andren.
Leibniz hatte Ablehnung erwartet. Die Schärfe jedoch in Ton und Ausdruck übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Er fand, was ihm noch kaum je begegnet war, zuerst auch keine Worte. Endlich fragte er mühsam und mehr mechanisch als kampflustig:
„Was sind Ihre Gründe für diese ungewöhnlich scharfe Zensur, Herr Arnaud?“
„Meine Gründe? Und die sehen Sie nicht selbst? So eingesponnen sind Sie in Ihre Allerweltsreligion? So sehr geht Ihnen das primitivste christliche Gefühl ab? Jetzt bin ich fassungslos. Ich antworte auch nur mit einem einzigen Satz, einer Gegenfrage. Was soll uns Christen ein Gebet bedeuten, in dem keine Erwähnung des Herrn Jesus Christus vorkommt?“
Leibniz warf nur einen flüchtigen Blick auf alle anderen. Es war nicht gerade Haß, was ihm da entgegenblitzte. Es war vielleicht Mitleid, vielleicht Verachtung, vielleicht auch Spott. Auf jeden Fall hatte er als Theologe und zugleich als Christ in den Augen dieser Männer ausgespielt. Gut, man würde ihn nicht verklagen, nicht hinausweisen. Man würde ihm auf die Schulter klopfen, würde ein andres Gespräch beginnen, würde ihn beim Abschied verblümt ermahnen, seinen geistigen Rausch auszuschlafen und sich morgen der Mechanik oder der Jurisprudenz zuzuwenden. Einmal später aber, wenn er gegen Freigeisterei und für Gottesglauben eintrat, würde man seine Sünden vielleicht plötzlich hervorziehen, würde ihn angreifen und an seine Pariser Ketzereien erinnern. Nicht aus Rachsucht. Aus heiligem Eifer und Charakter. Er durfte sich daher heute nicht geschlagen geben, sonst konnte das Werk seines Lebens vernichtet sein. Gerade aus diesem innersten Punkt seines Lebens heraus. Und wie stets bei ihm wurde der Wille zum Kampf sogleich Erleuchtung und er erwiderte leise und trotzdem hell:
„Aus diesem selben Grund, Herr Arnaud, den Sie bei mir tadelten, wegen der Nichterwähnung des Erlösernamens, wird also das Gebet des Herrn Jesus Christus selbst und werden zahlreiche Gebete in der Apostelgeschichte und in den Briefen der Apostel nichts taugen. Insbesondere das, welches der heilige Petrus im ersten Kapitel der Apostelgeschichte verrichtet, als über die Nachfolge des Judas das Los geworfen wurde. In allen diesen sicher nicht eines Christen unwürdigen Gebeten ist ausdrücklich weder der Name des Herrn Jesus Christus noch die Dreieinigkeit erwähnt.“
Arnaud, an den die Worte Leibnizens direkt gerichtet waren, bekam in seinen soeben noch fanatisch glühenden Blick einen Schleier von Unsicherheit. Er wollte antworten, man sah aber, daß tausende Gedanken sich in ihm kreuzten und daß sein Gedächtnis sich mit der Erwiderung Leibnizens herumstritt. Plötzlich drehte er sich brüsk um und schritt schnell und geräuschvoll zur Tür des Zimmers hinaus.
„Ich wollte ihn nicht beleidigen“, sagte Leibniz traurig, als man das Schlagen von Türen hörte und schließlich schwere Schritte vor den Fenstern im Garten knirschten.
„Sie haben ihn nicht beleidigt“, meinte Herr Nicole, der nun ebenso unsicher war wie alle andern. „Nein, ich bin überzeugt, daß Sie ihn nicht beleidigt haben. Er überdenkt den ganzen Fall in der frischen Luft. Er wird bald zurückkommen. Dann aber wird sein Urteil ein endgültiges sein.“
„Ich bereue meinen Verstoß“, sagte Leibniz vor sich hin.
„Bereuen Sie nichts“, erwiderte St. Amand und leerte ruhig ein Glas Wein. „Wenn Sie aus Überzeugung handelten, haben Sie nicht zu bereuen. Wie Sie sehen, sind wir durch Ihre Replik sehr nachdenklich geworden. Wir alle.“
Man sprach noch einige nichtssagende Dinge. Denn alle zitterten im tiefsten Grund vor der Entscheidung, die Arnaud fällen würde.
Sie ließ nicht allzulange auf sich warten. Plötzlich stand der Greis wieder unter ihnen. Diesmal freudig, mit gerötetem Antlitz und straffer Haltung. Und er ging auf den jungen Leibniz zu und legte ihm die Hand wuchtig auf die Schulter.
„Von sich selbst, das heißt von der Fähigkeit Leibnizens, auch als Theologe mitzusprechen, haben Sie mich überzeugt“, sagte er dröhnend. „Sie sind ein Magier, Leibniz. Zum erstenmal im Leben war Arnaud über eine theologische Finte verblüfft. Die Sache selbst aber muß ich noch Tage und Nächte lang überlegen. Sie ist zu groß und weittragend für heute. Was ich aber heute schon als feststehend betrachte, ist unsre Freundschaft, Herr Leibniz. Und mein Wunsch, mich oft und oft mit Ihnen auseinanderzusetzen.“
Leibniz jedoch war von einem krausen Wirrwarr von Stolz, Demut, Scham und Unsicherheit erfüllt, als er jetzt auch von allen andren des Kreises als vollwertiger Partner behandelt wurde. Denn er hatte heute schon mehr als einmal das dämonisch Schillernde seiner Triebkräfte und Talente wahrgenommen. Und konnte nicht mehr unterscheiden, ob sich nicht viel Eitelkeit und Übermut unter diesen Triebfedern verbarg. Jedenfalls überkam es ihn wie Heimweh nach dem geraden Patriotismus Colberts und dem fanatischen Sektengeist Arnauds.


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