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Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 061c

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Quelle für den Text der Lektionen 051c bis 063c Lektionen ist das Buch
Alles über Wikipedia und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt
Das Buch erschien unter einer freien Lizenz (Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported, CC-by-sa).
fuente: Allesueberwikipedia.pdf - CC-BY-SA Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported, CC-by-sa - CC-BY-SA
Inhalt
Inhalt
VORWORT 9
EINLEITUNG 11
DIE ENTSTEHUNG DER DEUTSCHEN WIKIPEDIA 15
Von Nupedia zu Wikipedia:Wie alles anfing ... 15
Odyssee ins Jahr 2001: Die Anfänge der deutschen Wikipedia 23
Ein Blick zurück von der anderen Seite der Diskette 31
Zehn Jahre Wikipedia: Meilensteine 35
Der millionste Artikel für die deutsche Wikipedia 41
Wikipedia: Eine kritische Sicht 43
DIE WIKIPEDIA-ARBEIT 47
Grundkenntnisse 47
Was braucht ein »guter« Artikel? 59
Ein Begrüßungslöschantrag 63
Von der IP zum Bürokraten: die »Karriere« eines Wikipedianers 64
Da kann ja jeder reinschmieren! 67
Wo erhalten Benutzer Hilfe und Unterstützung? 71
WIE GUTE ARTIKEL ENTSTEHEN 81
Die Qualität von Wikipedia: Anspruch und Wirklichkeit 81
Geständnis eines Kleinvandalen 100
Die Zebrarennschnecke:Vom Kindermund zum enzyklopädischen Artikel 101
Wer rastet, der rostet 104
Listen über Listen 105
Nicht zu benutzen 107
Wikipedia organisiert 108
Schon gewusst? - oder: Wie kommt man flott auf die Hauptseite? 115
Masse mit Klasse 118
Die Todesopfer an der Berliner Mauer 121
MOTIVATION: FREIWILLIG FÜR FREIES WISSEN 125
Unverhofftes Wiedersehen 125
Von Metzgern und Schlachtern - oder: Wenn's sonst keiner macht ... 127
Wikipedia-Mitarbeit hält die Festplatte am Drehen 130
Der Traum von einer eigenen Enzyklopädie 131
»Wikipedia and I« 133
Wikipedia - der erste Schuss ist gratis 138
Damenfang 140
Wikipedia: Ein persönlich gefärbter (was sonst?) Erfahrungsbericht 141
Warum ich immer noch mitspiele 144
Der Büchermessie 147
Wikipedia-Momente 149
KOMMUNIKATIONSKULTUR 151
Möglichkeiten und Grenzen demokratischer Strukturen in derWikipedia 151
Wissen ist Macht 162
Exklusionisten gegen Inklusionisten ein enzyklopädischer Bruderkrieg 164
Exklusionismus: In den Maschinenräumen von Wikipedia 173
Inklusionismus: Mehr Toleranz! 178
Mit 80 + dabei 182
DIE DUNKLE SEITE DER WIKIPEDIA 187
Am Anfang war der Streit 187
Kaffeeservice und Bügelbrett: Von der Wikipedia ohne Umweg in die Köpfe 210
Aus der Löschhölle an die Wand 214
Von der »Hassenstein-Debatte« zu allerlei Erfreulichem 216
Trollosophie 222
DIE WISSENSCHAFT ZU WIKIPEDIA 225
Wikipedistik 225
Wikipedia als Forschungsobjekt 241
Die Wikipedia als Werkzeug für individuelle und kooperative Lernprozesse 243
Verborgenes Wissen in Wikipedia 246
Die Enzyklopädie und der Elfenbeinturm - wie Wikipedia und Wissenschaft zueinander finden können 247
»Sag bloß keinem, dass du da mitmachst!« 266
Durch Kooperation zum Erfolg: Die Johann-Heinrich-ZedlerMedaille 268
Wikipedia und Wissenschaft aus der Sicht der Akademieforschung 269
Einstieg mit Hürden 273
Wikipedia als Lebensweise 274
Wikipedia und Speziallexika im Wettstreit 276
DIE TECHNIK HINTER WIKIPEDIA 283
MediaWiki - oder: Das Web 0,0 283
Hardware: Betrieb der Wikipedia 295
Das Werden und Wachsen der Helferlein: Bots, Skripte und Werkzeuge 300
AUSBLICK: WIKIPEDIA 2021 311
ANHANG 327
Glossar: Wikipedia-Jargon für Anfänger 327
Die Autoren 333
Creative Commons License 344



MC501 - MC510

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MC501

Wikipedia und Wissenschaft aus der Sicht der Akademieforschung
VON KURT GÄRTNER
---
Es ist noch nicht so lange her, dass die Wikipedia als »der Schrecken aller Professoren« bezeichnet wurde. Aber heute, zehn Jahre nach der Begründung der deutschsprachigen Ausgabe, etwas wie ein Modell kooperativen Arbeitens geworden. Kooperation und Interdisziplinarität sind zusammen mit den neuen Technologien auch in den Geisteswissenschaften immer wichtiger geworden. Die Wikipedia wird inzwischen als eines der wirkungsmächtigsten Kooperationsprojekte angesehen, an ihr kommt kaum ein Wissenschaftler auf der Suche nach möglichst aktuellen enzyklopädischen Informationen vorbei. Wer die Wikipedia benutzen will, benötigt allerdings einen Computer, ein für viele Geisteswissenschaftler lange Zeit verpöntes Werkzeug, für das im Universitätsbetrieb - von Ausnahmen abgesehen - bis zur Jahrtausendwende oft ausschließlich Sekretärinnen und Hilfskräfte zuständig waren. Die Berührungsängste gegenüber dem PC waren verbreitet, obwohl schon in den sechziger Jahren, also noch im Lochkartenzeitalter, herausragende Philologen und Theologen die Bedeutung des Computers in den Geisteswissenschaften erkannt hatten. Der Wert des Computers als Werkzeug und sein schließlich durch das Internet noch gesteigertes Potenzial als Medium waren vor allem für editorische und lexikographische Arbeiten unschätzbar. Freilich gibt es auch heute noch Gelehrte unter den Geisteswissenschaftlern, die den Computer nicht benutzen können oder wollen, aber man brüstet sich nicht mehr damit, dass man den PC und das Internet mitsamt Wikipedia nicht brauche, sondern bittet die Enkel um Hilfe bei der Suche nach Information im neuen Medium, das - so viel weiß man immerhin - einen der effektivsten und komfortabelsten Wege zum Wissen bietet.



MC502

Vokabeln:


MC503

Inzwischen ist die Wikipedia also nur noch der Schrecken weniger Professoren, denn auch die Geisteswissenschaftler erkennen das immer weiter optimierte Qualitätsmanagement der Online-Enzyklopädie an und raten nicht mehr rundweg von der Benutzung ab. Kein Wunder daher, dass auch in den deutschen Akademien der Wissenschaften, die für das international einzigartige Akademienprogramm zur Förderung geisteswissenschaftlicher Langzeitvorhaben (Editionen, Wörterbücher, Enzyklopädien) zuständig sind, die Befürworter einer engen Kooperation mit der Wikipedia Unterstützung fanden und eine Intensivierung der Kontakte zwischen Wikimedia und Akademieforschung vorantreiben. Besonders eng waren die Kontakte mit der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, die 2007 zur Etablierung jährlich verliehener Preise für hervorragende Wikipedia-Artikel, der Zedler-Medaille, führten. Als Mitglied der Mainzer Akademie und der Jury für die Auswahl der preiswürdigen Artikel habe ich mich in den letzten Jahren immer wieder intensiv mit der Wikipedia und ihrer Entwicklung beschäftigt, auch den Karteikartenreiter »Diskussion« öfter angeklickt und die manchmal sehr vehement geführten Debatten verfolgt. Natürlich gibt es Licht und Schatten in der Wikipedia, auch unter den für die Zedler-Medaille eingereichten Artikeln, doch lässt sich in der Regel die Spreu vom Weizen rasch trennen. Manche Entscheidung der Jury mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, wie zum Beispiel die für den in den Geisteswissenschaften 2010 verliehenen Preis, mit dem der Artikel »Dagobert Duck« ausgezeichnet wurde. Auch wer nicht mit Donald Duck groß geworden ist, wird nach der Lektüre dieses Artikels anhand der Zitate aus der deutschen Bearbeitung verstehen, was die Rezeption dieses Comics für die deutsche Sprachkultur geleistet hat, und vielleicht für die Entscheidung der Jury mehr Verständnis aufbringen können.



MC504

Vokabeln:


MC505

Auch auf anderen Feldern ist die Zusammenarbeit von Wikipedia und Akademieforschung inzwischen fest etabliert. Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften hat eine Arbeitsgruppe »Elektronisches Publizieren« eingerichtet2, die jährlich einen Workshop durchführt und der Wikipedia bei den für die Enzyklopädie einschlägigen Themen ein Informationsforum bietet. Dieses Forum hat durch die sachlich überzeugenden Beiträge der Wikipedia-Vertreter viel erreicht im Hinblick auf den Abbau der Vorurteile gegen die Online-Enzyklopädie und zugleich für die Kooperation mit ihr. Besondere Anerkennung fand die Leistung der Wikipedianer auf dem Workshop über Personendateien, der 2009 an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig durchgeführt wurde. Rund 370 000 Personenartikel enthält inzwischen die Wikipedia, und diese sind in der Regel mit den entsprechenden Normdaten der Deutschen Nationalbibliothek, der Personennamendatei (PND), bidirektional verlinkt. In der PND werden alle für Formal- und Sacherschließung sowie nationale Katalogisierungsunternehmungen wesentlichen Namen zusammengeführt. Für die Erstellung der Personenregister, zum Beispiel zu den Editionen der großen Briefwechsel des 19. Jahrhunderts, die in den Akademien erarbeitet werden, bietet die Wikipedia eine zentrale Anlaufstelle.
Die Zusammenarbeit von Wikipedia und Akademieforschung ist also ganz erfolgversprechend. Aus meiner Sicht werden sich wohl nicht alle Probleme der Qualitätssicherung, die gerade in den ersten Jahren der noch kurzen Geschichte der Enzyklopädie zu Vorbehalten gegen das Unternehmen geführt haben, so leicht lösen lassen, aber die Kooperation mit der Wikipedia und das immer weiter zunehmende Engagement der Wissenschaft für die Enzyklopädie beweisen, dass sie ihrer eigentlichen Aufgabe immer gerechter wird, indem sie sich als ein effizientes Instrument erweist, das in vielen Artikeln verlässliche und umfassende Informationen mit einem Minimum an Schwierigkeiten liefert.



MC506

Vokabeln:


MC507

Einstieg mit Hürden
VON VOLKER FADINGER
---
Die Idee, die hinter Wikipedia steht, fand ich von Anfang an sehr attraktiv. Es reizte mich, mir einige Artikel aus meinem Fachgebiet, der Alten Geschichte, genauer anzuschauen. Ich wollte mir ein Urteil darüber bilden, inwiefern das Lexikon für meine Studierenden von Nutzen sein könnte. Mein Eindruck nach der Lektüre war sehr zwiespältig. Die Artikel, die mein Interesse weckten, waren von ganz unterschiedlicher Qualität, wenngleich meist gut lesbar und verständlich. Doch die wenigsten entsprachen dem wissenschaftlichen Standard, den ich selbst vor langer Zeit als Verfasser von althistorischen Lexikonartikeln (im Kleinen Pauly) befolgte. Die Artikel waren irgendwo abgeschrieben und wegen fehlender Quellen- und Literaturbelege und ohne Fußnoten nicht überprüfbar.
Heute sind wir schlauer und würden das als »Plagiat« klassifizieren. Andererseits war ich von dem Bemühen der Verfasser fasziniert, überhaupt einen Artikel zum Gegenstand des Lexikons zu machen und dadurch das Wissen der weltweiten Wikipedia-Community zu vermehren. Jede Frau/jeder Mann hat ja die Möglichkeit, den Artikel noch zu verbessern und damit immer mehr auch wissenschaftlichen Standards anzupassen. Von dieser Aussicht verlockt, wagte ich das Experiment, meinen Beitrag dazu zu leisten. Aber schon bald befiel mich eine große Frustration. Ich war so naiv, mir vorzustellen, ich könnte einen eigenen, neuen Artikel über einen längeren Zeitraum Schritt für Schritt vollenden. Doch musste ich die Erfahrung machen, dass bisweilen mein Artikel, noch während ich am Text arbeitete, von hilfreichen »Geistern« im Hintergrund bereits überarbeitet, bisweilen auch das neu Geschriebene völlig getilgt wurde. Bis ich bemerkte, dass es eine Diskussionsseite gab, wo ich meinem Ärger Luft machen konnte. Und während ich mir noch überlegte, ob ich mich weiterhin dem Frust aussetzen sollte, bekam ich über die Diskussionsseite Anregungen, Tipps und gute Ratschläge. Noch wichtiger war, dass ich fachkundige »Administratoren« kennenlernte, die mir jede nur mögliche Unterstützung zukommen ließen. Da machte die Mitarbeit plötzlich großen Spaß, zumal die Artikel schon während der Entstehungsphase »rezensiert« wurden und mir immer das nötige »Feedback« vermittelten, das man als Wissenschaftler sonst nur selten, und dann auch noch in so kompetenter Form, erhält. Dabei ging es vor allem auch um die Frage: Wie kann ich als Fachgelehrter mein Wissen einer breiten Öffentlichkeit auf eine Weise vermitteln, die sich einerseits an den strengen Regeln der wissenschaftlichen Arbeitsweise orientiert und andererseits für jedermann gut verständlich, lesbar und plausibel klingt?



MC508

Vokabeln:


MC509

Wikipedia als Lebensweise
VON HANS-JOACHIM NIEMANN
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Seit über 40 Jahren arbeite ich an Computern. Erst in der Physik und der Chemie, später beim Schreiben philosophischer Artikel und Bücher. Die aufregendste Zeit war die in den neunziger Jahren: die Zeit der mailing lists mit den Diskussionen über Gott und die Welt. Doch bald stellte sich Frustration ein über den Kontrast zwischen dem riesigen gemeinsamen Aufwand und den sofort wieder verschwindenden, manchmal guten Ergebnissen, die nirgendwo festgehalten wurden. 1998 machte ich deshalb unter dem Titel »Lernende Systeme« den Vorschlag, die Diskussionen mittels einer Art Verfassung in Bahnen zu lenken, um ein bleibendes Ergebnis zu fixieren: »Gemeinsam kann unsere Intelligenz unglaublich viel größer sein als die eines Einzelnen, sogar als die eines genialen Menschen, und diese Möglichkeit dürfen wir uns nicht durch chaotisches Produzieren und Wiedervergessen zerstören lassen. Das Web ist nicht nur ein Mittel, Ideen zu produzieren, es kann auch unklare Probleme in deutlich erkennbare Probleme verwandeln, und es kann Lösungen finden, auf die kein Einzelner je gekommen wäre ... Wenn das Web mehr bringen soll als nur persönliche Anregung, wenn man tatsächlich einmal versuchen möchte, ein bisher unlösbares Problem zu lösen, dann ist außer Teilnahme möglichst vieler aus möglichst vielen Disziplinen und Lebensbereichen (Partizipation), außer freier Äußerung von Ideen und Alternativen (Konkurrenz), außer Auswahl der besseren Ideen (Kritik) auch noch Festhalten des bisher Erreichten (Tradition) nötig.« Partizipation, Konkurrenz, Selektion und Tradition! Oder anders ausgedrückt: Ich war reif für Wikipedia, die dann (ohne meine Zutun) auch bald kam.



MC510

Vokabeln:


MC511 - MC520

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MC511

Da ich Philosoph bin, analysierte ich später die Wikipedia und stellte den Zusammenhang mit meiner Lieblingsphilosophie her. Bei der Wikipedia wird eine Methode angewendet, fand ich, die viele Jahrzehnte zuvor Karl Popper (bekannt durch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) das »Erfolgsrezept der Wissenschaften« genannt hatte: Man arbeitet an einem interessanten Problem, schlägt versuchsweise verschiedene Lösungen vor, setzt sie der Kritik und Fehlerbereinigung aus und gelangt zu einem Resultat, das als neue verbesserte Problemlage bezeichnet werden kann. Der Prozess kann beliebig oft wiederholt und dabei in jeder neuen Runde verbessert werden. Damals war das neu, heute ist es dank Wikipedia eine Binsenweisheit.
Oder auch nicht; denn Poppers Schema ist überall im Leben und in der Wissenschaft anwendbar, weil es nichts gibt, das nicht verbessert werden kann - von einigen genialen Kunstwerken einmal abgesehen. Überall können weitere Fehler entdeckt und bessere Alternativen ins Spiel gebracht werden. Die ersten Lösungen sind selten die besten. Wenn wir dieses Erfolgsschema verinnerlichen, dann ist Wikipedia nicht nur eine Enzyklopädie, sondern eine Lebensweise. Überall ist »Wikipedia«: Alternativen vergleichen, Fehler suchen, Fehler beseitigen und dadurch immer besser werden.
Damit fest verbunden wird bald auch ein anderer Traum Karl Poppers in Erfüllung gehen, der von Texten in Literatur und Wissenschaft, in denen man sich ausdrücklich um klares Schreiben bemüht. Früher oder später wird man Schülern, Doktoranden und Professoren abverlangen: Schreib so, wie man in der Wikipedia schreibt! Schreib so, dass die schwierigsten Zusammenhänge von jedermann begriffen werden können!


MC512

Vokabeln:


MC513

Wikipedia und Speziallexika im Wettstreit
VON KLAUS WANNEMACHER
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Der große Erfolg des freien Online-Lexikons Wikipedia wirkt sich zunehmend auch auf das Angebot an deutschsprachigen Nachschlagewerken aus. Kommerzielle Anbieter vielbändiger, gedruckter Kompendien gerieten durch die kostenlose OnlineKonkurrenz so unter Druck, dass der Mannheimer Verlag Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG keine Chance mehr für eine neue Print-Auflage seiner Brockhaus Enzyklopädie sah und seine renommierte Traditionsmarke 2009 an den Wissen Media Verlag veräußerte. Für kommerzielle digitale Enzyklopädien sah die Situation kaum besser aus: Im selben Jahr gab auch Microsoft bekannt, dass die multimediale Enzyklopädie Encarta nach 16 Jahren eingestellt werde. Die wachsende Akzeptanz und publizistische Anerkennung für Wikipedia, die sich in mehreren Auszeichnungen, etwa dem Grimme Online Award, niedergeschlagen hatte, war mit sinkenden Absatzzahlen bei den bisherigen enzyklopädischen Platzhirschen einhergegangen. Auch im unmittelbaren Vergleich mit klassischen Enzyklopädien hatte Wikipedia gute Noten erzielt. Das Wissenschaftsmagazin Nature hatte die englischsprachige Wikipedia 2005 im Vergleich mit der Encyclopcedia Britannica für solide befunden, und auch der deutschsprachigen Wikipedia attestierte das Hamburger Magazin Stern 2007 im Vergleich zur Online-Ausgabe des Brockhaus hervorragende Arbeit in den Rubriken »Richtigkeit« und »Aktualität«.




MC514

Vokabeln:


MC515

Das Qualitätsversprechen der klassischen Print-Enzyklopädien, die traditionell durch hohe Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit gepunktet hatten, schien als zentrales Alleinstellungsmerkmal gegenüber der noch jungen Online-Konkurrenz nach und nach an Gewicht zu verlieren. Das Breitenspektrum, die Aktualität und einfache Verfügbarkeit des in Wikipedia kompilierten Wissens scheinen die Vorteile klassischer Enzyklopädien zunehmend aufzuwiegen. So vertrat Hendrik Werner in der Welt schon im November 2006 die Auffassung, dass die Zeit gedruckter Lexika generell zu Ende gehe. Als weiterhin überlebensfähiges Segment auf dem enzyklopädischen Markt machte der Publizist allerdings den Bereich der Speziallexika aus. Werner prognostizierte, dass sich nur spezialisierte Fachlexika, die sich vor allem in »thematisch tendenziell zeitlosen Bereichen [bewegen], die kein beständiges, zeit- und personalintensives Update erfordern«, mittelfristig behaupten könnten.
Auf dem Gebiet der kommerziellen Print-Enzyklopädien, die das vorhandene Wissen zu einer bestimmten Gesamtheit an Themenbereichen abzubilden beanspruchen, weht schon geraume Zeit ein rauer Wind. Dieser scheint aber inzwischen auch auf das Feld der Spezialenzyklopädien und Fachlexika überzugreifen. Auch Spezialenzyklopädien und Fachlexika, die mit dem Anspruch antreten, nur einen Teübereich des Wissens mit großer Detailtiefe zu behandeln, werden mittlerweile in den Feuilletons der überregionalen Tageszeitungen regelmäßig mit der kostenlosen Online-Konkurrenz verglichen. Für die Feuilletonredakteure stellt die deutschsprachige Wikipedia ganz selbstverständlich den Referenzpunkt dar, mit dem sich etablierte Spezial- und Fachlexika vergleichen lassen müssen. Ob den Neuauflagen renommierter Nachschlagewerke ein publizistischer Lorbeer verliehen oder der Stab über sie gebrochen wird, hängt von zahlreichen Faktoren wie der fachlichen Qualität, thematischen Bandbreite oder Aktualität ab. Die Ergebnisse solcher Vergleiche fallen sehr unterschiedlich aus.



MC516

Vokabeln:


MC517

Als im Wissenschaftsverlag de Gruyter ab 2008 die zweite, vollständig überarbeitete Auflage des renommierten Killy Literaturlexikon, eines Standardnachschlagewerks für Germanisten zu Autoren und Werken des deutschsprachigen Kulturraums, erschien, würdigte die Fachpresse die thematischen Neuerungen der Neuauflage in großer Breite. Herausgeber Wilhelm Kühlmann hatte den Kanon klassischer Werke um Unterhaltungsund Bestsellerliteratur ergänzt und überraschend viele Lücken in der wissenschaftlichen Aufarbeitung aufzeigen können. Doch schon als Kühlmann die Neuauflage am 15. Dezember 2008 an der Universität Heidelberg vorstellte, warf Holger Pils vom Germanistischen Seminar die Frage auf: »Ist Wikipedia eine ernst zu nehmende, vielleicht auch eine bedrohliche Konkurrenz?«
Für den Rezensenten des »Online-Magazins für den deutschen Buchhandel« blieb völlig offen, wie »Literaturkritiker oder Feuilletonredakteure und damit vielleicht auch die große Mehrheit praxisorientierter Nutzer« mit dem 13-bändigen Werk umgehen würden. Zumindest die jüngsten Entwicklungen im Literaturbetrieb würden mittlerweile bevorzugt im Internet recherchiert. Der Rezensent schloss diplomatisch, man täte gut daran, »Buch und Computer noch einige Zeit nebeneinander auf den Schreibtisch zu stellen«. Der Germanist Mark-Georg Dehrmann urteilte in einer Fachzeitschrift pointierter, dass die Neuauflage des Killy gelungen sei, auf Dauer jedoch »einen Aktualitätswettlauf angetreten [habe], bei dem sie unterliegen muss«.




MC518

Vokabeln:


MC519

Auch in Zusammenhang mit der dritten Auflage des deutlich voluminöseren Kindlers Literatur Lexikon beim J. B. Metzler Verlag, das in 18 Bänden nicht weniger als 13 000 Werke der Weltliteratur behandelt, stellte sich den Rezensenten 2009 die Frage, ob das klassische Print-Lexikon denn schon tot sei oder ob es nicht zumindest seltsam rieche. Der Generalherausgeber des Kindler, der Publizist Heinz Ludwig Arnold, hatte die aufwendige Neuauflage im Vorwort explizit damit begründet, dass Informationen in Wikipedia »selten wirklich professionell geprüft und deshalb im Grunde doch unzuverlässig« seien. Den apodiktischen Standpunkt des KzW/er-Herausgebers teilten längst nicht alle Rezensenten. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde diese Position gar explizit als »Hybris gegenüber Wikipedia« verworfen. Der Literaturkritiker Volker Weidermann prognostizierte in der FAZ skeptisch, die Zeiten gingen vorbei, »in denen man in dem massiven Wissensblock Kindler ein vollkommen zuverlässiges Exklusivwissen vermuten konnte«. Der Rezensent gelangte deshalb zu dem Urteil, die dritte Auflage sei »höchstwahrscheinlich auch: der letzte Kindler«.
Ein abweichendes Urteil vertrat der Kritiker der Welt. Er konstatierte, dass die Expertenkompetenz von Kindler auch in Zeiten des Internets alternativen Angeboten wie Wikipedia weit überlegen sei. Er decke ganz neue Nationalliteraturen wie etwa die ukrainische sowie bislang vernachlässigte Felder wie Comics, Popkultur und Sachbücher ab. Die deutschsprachige Wikipedia handle hingegen noch einen Weltautor wie Philip Roth »amateurhaft und unvollständig« ab und bediene sich obendrein der »Sprache eines Kleingärtnermitteilungsblättchens«. Der hohe Spezialisierungsgrad des Kindler mache es Wikipedia schwer, qualitativ mitzuhalten. Es koste viel Geld, geeignete Fachleute für randständige literarische Themen zu versammeln und ihnen Wissen und Arbeit abzuverlangen. Solche Autoren könne Wikipedia nicht ohne weiteres mobilisieren. Auch der Kritiker der Welt war jedoch der Auffassung, dass nunmehr wohl »die letzte gedruckte Auflage« des Kindler vorliege.



MC520

Vokabeln:


MC521 - MC530

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MC521

Deutlich kritischer fiel der Befund bei einem weniger monumentalen Werk aus, dem Henschel-Theaterlexikon von C. Bernd Sucher. Das 2010 erschienene Kompendium stellt Autoren, Regisseure, Schauspieler, Dramaturgen, Bühnenbildner und Kritiker vor. Im Wikipedia-Vergleich konnte das »runderneuerte« Theaterlexikon sogar mit einem Aktualitätsvorsprung aufwarten. Es verzeichnete zahlreiche Nachwuchskünstler, für die bislang kein Wikipedia-Eintrag vorlag. Nach Einschätzung eines Rezensenten wurde der Einbänder jedoch dem selbst erhobenen Anspruch auf »Orientierung und Wertung statt Faktenaddition« in seinen ausufernden Aufzählungen von Theaterinszenierungen nicht immer gerecht. Zudem beklagte der Rezensent die selektive Fokussierung des Herausgebers auf Exponenten des deutschen Stadttheaterbetriebs. Diese methodischen Beschränkungen führten zu einem kritischen Gesamteindruck und dem etwas boshaften Resümee: »Wer Internet hat, braucht es nicht.« Wiederum lautete das Fazit, diese Auflage werde wohl die letzte gedruckte darstellen.
Der mehrfach diagnostizierte Trend zur Verlagerung lexikographischer Angebote aus den alten in die neuen Medien wurde auch von Fachzeitschriften wahrgenommen und reflektiert. Mark-Georg Dehrmann verglich in der Zeitschrift für Germanistik die Neuauflage des Killy Literaturlexikon mit der deutschsprachigen Wikipedia und stellte »rein quantitativ« kaum einen Unterschied zwischen beiden fest. Inhaltlich habe der Killy, zumal bei Autoren der Frühen Neuzeit, noch immer einen gewissen Vorsprung, der sich jedoch verringere. Die WikipediaArtikel seien »immer öfter gut ausgearbeitet und vom Informationsgehalt her unproblematisch«. Aus diesem Befund leitete Dehrmann die Anregung zu einem germanistischen OnlinePortal ab, das die Inhalte verschiedener Lexika wie Killy, Kindler oder Kosch umfassen solle. Mit einem solchen Online-Portal, das als redaktionell betreutes Wiki funktionieren könne, ergäbe sich für die Fachdisziplin nicht zuletzt auch die Möglichkeit, sich auf Leser und Interessierte zuzubewegen.




MC522

Vokabeln:


MC523

Die Einschätzungen in den Feuilletons zur langfristigen Überlebensfähigkeit gedruckter Universalenzyklopädien und Speziallexika fallen einhellig negativ aus. Die große Wertschätzung vieler Journalisten für das enzyklopädische Angebot Wikipedia erscheint allerdings angesichts der noch immer stark wechselnden Qualität insbesondere literaturwissenschaftlicher Wikipedia-Artikel zumindest erstaunlich. Vermutlich dürfte auch die leichte Zugänglichkeit von Artikeln im freien OnlineLexikon, die bei den Beiträgen renommierter Spezialenzyklopädien nicht gewährleistet ist, journalistische Einschätzungen beeinflusst haben. In Zusammenhang mit dem monumentalen Kindlers Literatur Lexikon ist deutlich geworden, in welchen Gebieten noch Nachholbedarf für Wikipedia besteht und dass das Online-Lexikon gerade im Bereich randständiger Themen stark von der Rekrutierung weiterer Fachleute profitieren könnte.
Wie die lexikographischen Großprojekte der vergangenen Jahre zeigen, hat der seltsame Geruch auf dem Markt der PrintLexika bislang gleichwohl noch immer keine unerträglichen Ausmaße angenommen. Angesichts lange eingespielter akademischer Gepflogenheiten und Publikationsroutinen dürfte der kulturelle Wandel lexikographischer Medien die Herausgeber, Verlage, Journalisten und Nutzer daher noch geraume Zeit beschäftigen.



MC524

Vokabeln:


MC525

DIE TECHNIK HINTER WIKIPEDIA
---
MediaWiki - oder: Das Web 0.0
VON MAGNUS MANSKE
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MediaWiki ist die Software, die Wikipedia antreibt. Jeder Artikel, den ein Benutzer dort liest, wird von dieser Software dargestellt und an ihn ausgeliefert; jede Bearbeitung, jedes Hochladen eines Bildes wird durch sie ermöglicht. Dabei ist MediaWiki nicht einfach nur ein austauschbares Mittel zum Zweck, sondern wurde speziell für Wikipedia und die besonderen Bedürfnisse des Projekts geschaffen und hat Wikipedia in nicht geringem Maße geprägt. Dabei ist die junge Software tatsächlich die Verwirklichung einer alten Idee. Als Augenzeuge und direkt Beteiligter an diesem Prozess ist es mir eine Freude, die Entwicklung von MediaWiki und meinen bescheidenen Anteil daran im Folgenden beschreiben zu können.




MC526

Vokabeln:


MC527

Vor dem Web ...
Es gab eine Welt vor dem World Wide Web. Vor dem Internet, auf dem das WWW basiert. Vor dem Personal Computer, ja, vor dem Computer als solchem. In dieser für den jüngeren Leser prähistorisch und irreal anmutenden Welt existierten solche phantastischen Geräte nur in den Köpfen einiger Visionäre. Einer von ihnen war Vannevar Bush, ein Ingenieur, der mit Analogrechnern arbeitete.
Aufbauend auf der damals führenden Technologie zur Archivierung und Kompression von Texten und Bildern, dem Mikrofilm, ersann er 1945 das Konzept eines Geräts, das er »Memex« nannte. Diese schreibtischartige Konstruktion sollte Texte auf Mikrofilm unter einer eindeutigen Identifikation (ähnlich einer Telefonnummer) aufrufen können. Text auf einem Mikrofilm hätte somit auf andere Texte im System durch deren Nummer verweisen sollen. Auch sollte der Text durch den Benutzer verändert oder zumindest annotiert werden können.
Solche Ideen wurden wahrscheinlich von den meisten Leuten als Science-Fiction abgetan. Aber, wie auch bei anderen Innovationen, zum Beispiel dem Unterseeboot, dem Satelliten, der bemannten Raumfahrt und dem Mobiltelefon, sollte Science bald die Fiction verdrängen.


MC528

Vokabeln:


MC529

...ist nach dem Web
Die Idee, dass Texte über eindeutige Identifikationen (Nummern oder Namen) in einer maschinenlesbaren Form aufeinander verweisen können, wurde 1963 von Ted Nelson aufgegriffen und als »Hypertext« bezeichnet. Diese Bezeichnung setzte sich gemeinhin durch.
1980 entwickelte der britische Computerwissenschaftler Sir Tim Berners-Lee am Schweizer Kernforschungszentrum CERN das Programm ENQUIRE, das Wissenschaftlern einen hypertextbasierten Austausch von Texten und Daten ermöglichen sollte, sodass diese von den Benutzern bearbeitet werden konnten. Damals fand er allerdings noch keinen Weg, Personen an anderen Standorten Zugang zum System, und damit zur Information, zu geben.
Das änderte sich 1989, als CERN an das Internet angeschlossen wurde. Das neue, weltweit standardisierte Internet-Kommunikationsprotokoll TCP/IP und das Domain Name System (DNS) zur Identifikation von Computern über Namen (zum Beisniel »wikiDedia.ore«) waren die Komponenten, die Berners-Lee gefehlt hatten. Er entwickelte ein Format für HypertextSeiten, das er HTML (»HyperText Markup Language«) nannte, sowie ein Protokoll zum Austausch solcher Seiten, das HTTP (»HyperText Transfer Protocol«). Diese beiden Abkürzungen zieren bis heute das Ende bzw. den Anfang zahlloser URLs (»Uniform Resource Locator«, umgangssprachlich als »Webseiten-Adresse« bekannt).
Darüber hinaus entwickelte Berners-Lee den ersten Browser, damit jeder diese neuen »Webseiten« betrachten konnte. Wie bei ENCODE und dem Konzept Memex sollten auch hier alle Benutzer alle Webseiten bearbeiten können. Dafür waren allerdings die Computer und Netzwerke noch nicht leistungsfähig genug. Das World Wide Web ging daher in einer »abgespeckten« Version an den Start, bei der nur Benutzer des Computers, auf dem eine Webseite gespeichert war, diese verändern konnten.
Die Funktion zum Bearbeiten der Seiten sollte wohl später nachgereicht werden. Zu dieser Zeit aber erwachte das kommerzielle Interesse am Web, gefolgt von privaten Webseiten und bald sogar der einen oder anderen Regierung. Keine dieser Gruppen hatte ein Interesse daran, dass andere Personen ihre Webseiten verändern konnten. Und so dauerte es noch mal ein gutes Jahrzehnt, bis »jeder jeden Artikel bearbeiten« konnte.


MC530

Vokabeln:


MC531 - MC540

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MC531

Wikipedia: Die graue Vorzeit
Am 15. Januar 2001 ging eine kleine, unscheinbare Datei »ans Netz«. Es handelte sich um eine Kopie der UseModWiki-Software. Clifford Adams, der Erfinder des Wikikonzepts und Autor von UseModWiki, hatte diese etwa ein Jahr zuvor für seine eigene Webseite

1 in der Programmiersprache Perl geschrieben und unter der freien GPL-Lizenz zur Verfügung gestellt. Die Kopie, von der die Rede ist, war unter http://wikipedia.com zu erreichen. Dies war die Geburtsstunde von Wikipedia.

UseModWiki war die erste benutzbare Wiki-Software überhaupt und entsprechend rudimentär gehalten. Artikel wurden einfach als Dateien auf die Festplatte des Servers geschrieben. Versionen, die älter als zwei Wochen waren, wurden automatisch gelöscht, um Speicherplatz zu sparen - heute, nur ein Jahrzehnt später, im Zeitalter preiswerter Terabyte-Festplatten, kaum vorstellbar.
Verweise innerhalb eines Wikis wurden automatisch erstellt, wenn ein Wort in CamelCase, also als bunte Mischung von Groß- und Kleinbuchstaben, geschrieben wurde, was auch das »Zusammenziehen« von Artikelnamen zwecks einfacherer Verweise begünstigte. Dementsprechend sahen die Artikelnamen aus; auf der originalen UseModWiki-Seite heißt der Artikel über Wikis auch heute noch »WhatlsaWiki« (»What is a Wiki«). Verweise auf nicht existierende Artikel waren nicht wie heute rot gefärbt, sondern normaler Text, von einem verlinkten Fragezeichen gefolgt. Die kurz nach der Eröffnung neu angelegte Hauptseite von Wikipedia war voll von solchen »?«-Verweisen, selbst zu Lemmata wie »Biologie«, »Chemie«, »Physik«, »Geographie« und »Geschichte«.




MC532

Vokabeln:


MC533

UseModWiki bot neben solchen Verweisen (durch CamelCase oder die heute noch verwendeten eckigen Klammern) auch das bis heute verwendete »Markup« (»Steuerzeichen«) für fett und kursiv, Verweise auf andere Webseiten, Überschriften, Listen, und ein paar andere, heute eher selten verwendete Elemente wie horizontale Trennlinien. Auch gab es eine Liste der »Letzten Änderungen«, aber damit waren die Funktionen auch größtenteils erschöpft. Selbst eine grundlegende Funktion wie das Hochladen von Bildern war nicht vorhanden, obwohl Bilder von anderen Webseiten verwendet werden konnten.
Gegen Ende 2001 hatte Wikipedia schon reichlich Fahrt aufgenommen3 und die ungeliebte Schwester Nupedia (mit rund 20 000 gegenüber 24 Artikeln) weit hinter sich gelassen. Der ungeahnte Erfolg der Inhalte brachte aber auch technische Probleme mit sich. UseModWiki war hoffnungslos überlastet. Alle Anfragen, sowohl das Bearbeiten von Artikeln, als auch das Lesen, liefen durch denselben Server, dasselbe Programm, dieselbe unscheinbare Datei vom Januar. Vom Klicken des »Bearbeiten«-Verweises zum Erscheinen des zu bearbeitenden Textes konnten, je nach Tageszeit, mehrere Minuten verstreichen. Es war absehbar, dass Wikipedia unter dem eigenen Gewicht kollabieren könnte. UseModWiki hatte seine Schuldigkeit getan. Aber was war die Alternative? Inzwischen gab es eine Hand voll neuer Wiki-Software, darunter Twiki und MoinMoin, aber keine davon erfüllte die Voraussetzungen hinsichtlich Skalierbarkeit und Funktionalität.



MC534

Vokabeln:


MC535

Revolution
In den Semesterferien des Herbstes 2001 war mir langweilig. Ich hatte im Verlauf des Jahres für Jimmy Wales ein paar kleine Nachbesserungen an der Nupedia-Software vorgenommen, und dafür die Grundzüge der Programmiersprache PHP meinem Repertoire hinzugefügt. PHP war damals eine vergleichsweise neue Skript-Sprache, mit besonderer Betonung auf WebProgrammierung. Ich wollte mehr Erfahrung mit PHP sammeln, und da man Erfahrung am besten in der Praxis sammelt, suchte ich nach einem geeigneten größeren Software-Projekt. Und Wikipedia suchte nach neuer Software. Als Wikipedianer der ersten Stunde war mir diese Konvergenz nicht entgangen.
Die erste Aufgabe bestand darin, die komplette Funktionalität von Perl-UseModWiki in PHP nachzubilden, gleichzeitig aber auf Skalierbarkeit zu achten. Artikel sollten daher in einer Datenbank gespeichert werden statt wie bisher in Dateien. Auch neue, oft gewünschte (und in UseModWiki bitterlich vermisste) Funktionen sollten später Einzug halten.
Eine erste, simnle und unvorstellbar fehlerbehaftete Version hatte ich bereits nach etwa zwei Wochen Arbeit entwickelt. Ich stellte diese Software, damals nur »das PHP-Skript« genannt, auf der Wikipedia-Mailingliste vor und gab es unter GPLLizenz frei. Das Interesse war groß; in typisch wikipedianischer Weise fanden sich sofort andere Freiwillige, die ihre Hilfe anboten. Eine Testseite wurde aufgesetzt. Erik Möller (Benutzer: Eloquence), heute stellvertretender Geschäftsführer der Wikimedia Foundation, legte eine Software-Verwaltung bei SourceForge an, damit alle gemeinsam am Programmcode arbeiten konnten. Und zusammen mit vielen anderen, unter ihnen Brion Vibber, später Cheftechniker der Wikimedia Foundation, Tim Starling und Lee Daniel Crocker, stellten wir uns der Aufgabe, mein PHP-Skript, später auch »Phase II« genannt, in einen benutzbaren Zustand zu bringen.





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Vokabeln:


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Am 25. Januar 2002, kurz nach Wikipedias erstem Geburtstag, wurde (zunächst die englischsprachige) Wikipedia schließlich auf die neue Software umgestellt.
Die Software-Entwicklung machte weiterhin große Fortschritte. Eine Vielzahl neuer (und heute selbstverständlicher) Konzepte hielten in dieser Phase Einzug in die Software. Dazu gehörten Namensräume (zum Beispiel »Benutzer:«), Diskussionsseiten, Volltextsuche, verschiedene Benutzeroberflächen (sogenannte »Skins«), das Wiki-interne Hochladen von Bildern (mit entsprechender Syntax) sowie erweiterte Rechte für Administratoren.
Einige Eigenschaften von UseModWiki verschwanden durch den Software-Wechsel. Auf nicht existierende Artikel wird heute mit roter Schrift verwiesen statt mit Fragezeichen (diese Option ist aber in den Benutzereinstellungen weiterhin verfügbar). Der CamelCase wurde abgeschaltet, und normale Links wurden Standard.
Das Konzept der Unterseiten (»Thema/Unterthema«) wurde, nicht zuletzt auf Drängen des Wikipedia-Mitbegründers Larry Sanger, aus dem Artikelnamensraum verbannt; damit wurden potenzielle Artikelduplikationen vereinheitlicht, zum Beispiel »Deutschland/Geschichte« und »Geschichte/Deutschland« zu »Geschichte Deutschlands«. In einigen Namensräumen sind Unterseiten und deren besondere Funktionen aber noch erhalten geblieben, etwa in »Wikipedia:«.
Eine große Neuerung waren auch die Spezialseiten, die viele praktische Funktionen anbieten, um auf den gewaltigen Artikelund Datenbestand von Wikipedia zuzugreifen. Einige Funktionen, beispielsweise »Letzte Änderungen«, waren schon in UseModWiki vorhanden, aber durch Spezialseiten konnten ganz einfach neue Funktionen hinzugefügt werden. Heute bietet Wikipedia fast 100 Spezialseiten an. Und das wurde bald ein Problem.




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Evolution
»Kein Plan überlebt die erste Feindberührung.« Moltkes berühmtes Zitat gilt nicht nur für Militäroperationen, sondern auch für Software-Entwicklung (wobei die Benutzer der »Feind« sind, was manche Entwicklerattitüde erklärt). »Phase II« war zwar ein gewaltiger Schritt nach vorn, auch was die prinzipielle Skalierbarkeit anbelangt. Allerdings wurde in der Eile der Entwicklung, nicht zuletzt bedingt durch neue Ideen für immer mehr Funktionen, die Wartungsfreundlichkeit der Software vernachlässigt. Viele Funktionen liefen bald nur sehr langsam, und einige Spezialseiten (zum Beispiel die für »verwaiste Seiten«) sind bis heute deaktiviert oder nur als Cache (zu bestimmten Zeitpunkten aktualisierte Versionen) verfügbar.
In dieser Situation spielte nun Lee Daniel Crocker seine Karten aus. Von Beruf professioneller Pokerspieler (und Originalautor praktisch aller englischen Pokervarianten-Artikel), nahm er das »Gerüst« der Phase-II-Software und -Datenbank und füllte es in einer Weise mit Programmcode, die der Wartbarkeit und Optimierung der Software weit besser entgegenkam. (Für Programmierer seien hier die Stichwörter »refactoring«, »objektorientierte Programmierung« und »profiling« erwähnt.)




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Vokabeln:


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Am 20. Juli 2002 wurde Wikipedia auf Lees »Phase III«-Software und auf neue, leistungsstärkere Server umgestellt. Im August 2003 nannte Wikipedianer Daniel Mayer die Software MediaWiki, als Wortspiel, das sich auf die frisch gegründete WikiMedia Foundation bezog, und dieser Name wurde bald offiziell übernommen. Intern (im »Subversion repository«, SVN) heißt der Ordner, der die Software enthält, auch heute noch »phase3«.
»Phase III« brachte zunächst nur vergleichsweise wenige sichtbare Neuerungen mit sich, darunter mathematische Formeldarstellungen (»<math>«). Über die Jahre gab es jedoch viele massive Änderungen und Verbesserungen. Als kleine Auswahl seien hier genannt:
• Wiki-Markup für Tabellen und »magische Worte« (2003)
• automatische Skalierung für »Miniatur«-Bilder, Vorlagen, Kategorien, Monobook-Skin (2004)
• interne Verbesserungen (Geschwindigkeit, Datenbankschema, Kompression alter Artikelversionen), Verbesserungen der Dateiverwaltung (zum Beispiel SVG- und DjVUUnterstützung), Datei- und Seitensperrungen (2005-2007)
• schnellere Verarbeitung komplexer Seiten, Verbesserungen der Lokalisierung in anderen Sprachen (2008)
• Verschieben von Dateien (2009)
• Vector-Skin und verbesserter Editor (2010).



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Vokabeln:


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Die Gegenwart
MediaWiki wurde speziell für Wikipedia entwickelt. Innerhalb der komplexen Wikimedia-Server-Infrastruktur ist es die zentrale Komponente, um viele Millionen Artikel in Hunderten von Sprachen an Benutzer zu übertragen und deren Bearbeitung zu ermöglichen. Als eine der »Top Ten« der weltweit am meisten genutzten Webseiten (StandJanuar 2011: Nummer fünf) werden dabei routinemäßig über 50 000 Anfragen pro Sekunde beantwortet.
Es wird jedoch nicht nur für Hunderte von Sprachen auf Wikipedia verwendet, sondern auch für die Wikimedia-Schwesterprojekte Wiktionary,Wikiquote,Wikisource,Wikinews,Wikiversity, Wikispecies und Wikimedia Commons. Viele dieser Projekte benutzen MediaWiki mit eigenen, teilweise erheblichen Erweiterungen.
Auch außerhalb des Wikimedia-Universums wird MediaWiki von Tausenden von Webseiten weltweit benutzt. Dabei kommen zahlreiche MediaWiki-Erweiterungen in vielfältigen Kombinationen zum Einsatz, um MediaWiki an die jeweiligen Bedürfnisse der Seite anzupassen. Viele Erweiterungen werden von Dritten geschrieben und oft unter freier Lizenz zur Nutzung und Weiterentwicklung zur Verfügung gestellt.



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Viel genutzt wird auch das sogenannte API (»Application Programming Interface«), eine Art maschinenlesbare Version der eigentlichen Webseite, mit deren Hilfe andere Webseiten und Programme Daten über Wikipedia-Artikel in Erfahrung bringen können. Dazu zählen unter anderem aus- und eingehende Links und Kategorien eines Artikels, die verwendeten Bilder, Vorlagen etc.; ebenso die umgekehrte Richtung - in welchen Artikeln wird ein bestimmtes Bild verwendet? Welche Artikel wurden zuletzt geändert, und von wem? Das API ermöglicht Dritten die Entwicklung von Programmen, die Wikipedia-Informationen nutzen, ohne sich mit den »Innereien« der Software abgeben oder Erlaubnis von der Wikimedia Foundation erfragen zu müssen - ganz im Sinne der freien Softwareund Inhaltslizenzen GPL und CC-BY-SA. Unter den zahllosen kreativen Anwendungen seien hier nur beispielhaft diverse Programme (sogenannte »Bots«) erwähnt, die automatisch oder unter Anleitung eines Benutzers Vandalismus auf Wikipedia binnen Sekunden erkennen und rückgängig machen können. Artikelbearbeitungen durch solche und andere Bots machen heute einen nicht unerheblichen Anteil aller Bearbeitungen auf Wikipedia aus; manche Bots können inzwischen Millionen von Bearbeitungen vorweisen.


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Die Zukunft
»Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.« Trotz dieses Bonmots möchte ich auf zwei Bereiche hinweisen, die besondere Beachtung verdienen, nicht zuletzt, weil sie schon seit vielen Jahren immer wieder in WikipediaKreisen diskutiert werden; die Zeit könnte jetzt reif sein, konkret an ihnen zu arbeiten.
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Benutzerfreundlichkeit
Das erste dieser Themen ist Bedienerfreundlichkeit. Zum zehnten Geburtstag der Wikipedia sagte Jimmy Wales der BBC, dass Wikipedia für viele zu kompliziert zu bedienen (sprich: zu bearbeiten) sei. Damit liegt er zweifellos richtig; auf Wikipedia wird »Wiki-Markup« verwendet, eine Mischung aus Text und »Steuerzeichen«, die mit Hilfe von MediaWiki eine WikipediaSeite erzeugen. Dieses Markup wirkt auf neue, potenzielle Autoren oft abschreckend; man hat Angst, etwas »kaputt zu machen«. Daran haben auch eine Handvoll Verbesserungen der »Usability Initiative« nicht viel zu ändern vermocht.
Dieses Problem ist nicht neu; praktisch alle DOS-basierten Textverarbeitungsprogramme litten unter derselben Steuerzeichen-Pest. Die Antwort kam als verqueres Akronym WYSIWYG (»What You See Is What You Get«) und in Gestalt graphischer Benutzeroberflächen wie Windows und Mac OS. Hier sieht die Seite auf dem Computerbildschirm genauso aus wie später die gedruckte Seite. Eine solche Bearbeitungsmöglichkeit für Wikipedia würde vielen Menschen die aktive Teilnahme an ihr als Autoren ermöglichen. Einige Ansätze für eine solche Funktion sind momentan in den Startlöchern, darunter auch einer von mir. Es war mir wohl mal wieder langweilig.



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Daten, Daten, Daten
Das andere große Thema der nahen MediaWiki-Zukunft kann unter dem Stichwort »data wiki« zusammengefasst werden. Darin finden sich mehrere, einander teilweise überlappende Ansätze wieder.
Einer davon ist »Semantic MediaWiki«, eine Anpassung und Erweiterung der MediaWiki-Software zum »semantischen Web«, was wiederum ein Konzept des bereits erwähnten Sir Berners-Lee ist. Als Erfinder des World Wide Web war ihm früh bewusst, dass sich das WWW zwar sehr gut zum Informationsaustausch zwischen Menschen via Computer eignet, dass es aber andererseits Maschinen nicht möglich ist, die ausgetauschten Informationen selbst zu verstehen (statt sie nur zu präsentieren und weiterzuleiten). Im »semantischen Web« sollen Informationen gleichzeitig menschen- und maschinenlesbar sein. Semantic MediaWiki schafft dafür die technischen Voraussetzungen und ist bereits auf vielen Webseiten im Einsatz. Fragen bezüglich der Skalierbarkeit und eine weitere Komplikation des Wiki-Markups (die oben erwähnten »Steuerzeichen«) haben bisher jedoch eine Nutzung durch Wikipedia verhindert.


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Vokabeln:



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